Mitte Juli, kurz vor dem Urlaub: Eine Nachricht auf meiner Mailbox. Die (mir noch nicht bekannte) neue Personalleiterin eines Kunden bittet umgehend um Rückruf. Das Thema: Ein dringender Termin mit der Geschäftsführung.
2015 hatten wir den Marketingbereich des Medien-Unternehmens mehrere Monate in einem wichtigen Veränderungsprojekt begleitet. Der bisherige Marketingleiter sollte bis zum Jahresende ausscheiden, seine Stelle aber nicht wieder besetzt werden. Er hatte drei junge Mitarbeiter in seinem Team identifiziert und war überzeugt davon, dass die Marketingleitung bei ihnen sehr gut in (verteilten) Händen sei.
So arbeiten wir in einem kleinen Team mehrere Monate an der Vorbereitung der jungen Kollegen. Unser Thema: Die Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses des Marketingbereichs unter Berücksichtigung aktueller Kundenanforderungen, der fortschreitenden Digitalisierung, der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensbereichen und vor allem der Stärken und Bedürfnisse der drei Hoffnungsträger. Dabei führten wir u.a. drei zweitägige Innovations-Workshops durch, bei denen das Kernteam um jeweils weitere Kollegen ergänzt wurde.
Vieles von dem, was wir in unseren Workshops tun, ist für die Teilnehmer ungewohnt. Wir animieren zum Querdenken und Fehlermachen, üben einen wertschätzenden Umgang auf Augenhöhe und helfen beim Wiederentdecken der eigenen Kreativität. Schritt für Schritt führen wir die Teams so in ein agiles Vorgehen, bei dem das, was wir machen, immer wieder mit Feedback von außen – von der Zielgruppe, von Kunden, Partnern, Mitarbeitern – abgeglichen wird.
Begünstigt durch eine Location außerhalb des Unternehmens entwickelt sich in dem geschützten Raum in wenigen Stunden eine neue Innovationskultur, die ganz wesentlich zum Erfolg der Workshops beiträgt. Am Ende des Workshops sind die Teilnehmer hoch motiviert, ihre Lösungsansätze und Prototypen aus dem Workshop direkt weiterzuentwickeln.
Aber: Nach dem Workshop ist wieder Alltag. Das Liegengebliebene wird nachgearbeitet und ganz schnell ist jeder Einzelne wieder mit den alltäglichen Regeln, Richtlinien und Kommunikationsformen konfrontiert. Alle kennen sie, alle haben sich an sie angepasst und so bilden sie die Grundlage für die Unternehmenskultur, dem „organisatorischen Gedächtnis“. Das „Bewährte“ gewinnt allzu schnell wieder Oberhand und die im Workshop erlebte neue Innovationskultur kann sich nur selten behaupten. Tatsächlich sind wenige Workshop-Tage mit einem kleinen Teil der Mitarbeiter nicht ausreichend um das organisatorische Gedächtnis zu beeinflussen und nachhaltig eine neue Innovationskultur für das ganze Unternehmen zu etablieren. Der Workaround vieler Unternehmer: Das Neue wird in Innovation Hubs, Inkubatoren oder Acceleratoren angesiedelt, um es von der „alten“ Unternehmenskultur zu schützen.
Wie schaffe ich dann den Wandel hin zu einer neuen Innovationskultur für das bestehende Unternehmen? Wir empfehlen unbedingt die drei Prinzipien Freiwilligkeit, Experimentieren und Wiederholen zu beachten:
- Freiwilligkeit: Hören Sie sich um, wer mitmachen will. In jedem Unternehmen gibt es viele Menschen, die weiter denken, die vorne weg gehen wollen, gute Ideen haben und mutig sind. Achten Sie darauf, dass die Mitarbeiter ausreichend Erfahrung besitzen und im Kollegenkreis anerkannt sind.
- Experimentieren: Schaffen Sie ausreichend Zeit und geschützte Räume zum Ausprobieren von Neuem. Nutzen Sie agile Innovations-Tools und -Methoden und lassen Sie analysieren, brainstormen und Prototypen bauen. Fokussieren Sie auf Themen, die für die Wertschöpfung ihres Unternehmens von Bedeutung sind und achten Sie darauf, dass Arbeitsweise und Arbeitsergebnisse nach draußen dringen.
- Wiederholen: Stellen Sie sicher, dass es nicht bei einem einmaligen Workshop bleibt. Ohne Lernen geht es nicht. Bilden Sie Ihre Mitarbeiter zu Innovationsmoderatoren und -coaches fort. Begleiten Sie Einzelne oder Teams durch Coaching-Maßnahmen. Agiles Denken und Handeln müssen ausgebildet, geübt und verinnerlicht werden.
Unter Anwendung dieser Prinzipien entstehen im Unternehmen schrittweise erste Inseln mit einer neuen Innovationskultur in denen Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle agil weiterentwickelt werden. Das Unternehmen reagiert immer flexibler auf Veränderungen und neue Herausforderungen. Und von solchen Herausforderungen gibt es viele – sowohl im Hinblick auf den Markt und die Kunden als auch im Hinblick auf die eigenen Mitarbeiter und die Organisation der Zusammenarbeit.
Für alle, die sich mit der neuen Innovationskultur für Ihr Unternehmen intensiver beschäftigen wollen, bieten wir am 9. und 10. November 2016 einenWorkshop zum Thema Innovative Organisationen an. Dabei werden wir aktuelle Ansätze und Modelle wie Management 3.0, Holocracy oder Reinventing Organizations diskutieren und konkrete Werkzeuge ausprobieren, um erste kleine Schritte für das eigene Unternehmen zu entwickeln. Mehr Infos finden Sie hier
Die Personalleiterin habe ich übrigens noch am gleichen Tag zurückgerufen und das Gespräch war viel erfreulicher als angenommen. „Wir spüren an der Haltung und an der Art, wie die drei Kollegen unterwegs sind, dass sich da total was verändert hat.“ Die erste Insel mit einer neuen Innovationskultur ist entstanden! In Kürze sprechen wir mit Geschäftsführung und Personalleitung über den Ausbau der Zusammenarbeit – wir freuen uns darauf.
Viele Grüße
Jürgen Müller